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Literatur Menschen und Bücher

„Gemeinsam sind wir stark, das ist die Idee.“ Verleger Jens Korch im Interview

 

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Netzwerk für Indieverlage aufzubauen? Welche Herausforderungen sind dir dabei begegnet?

Im März 2020 wurde die Leipziger Buchmesse in der Corona-Pandemie abgesagt – wenige Tage vor Beginn. Viele Verlage hatten sich monatelang auf dieses wichtige Ereignis vorbereitet. Und standen plötzlich vor dem Nichts.

Über eine sehr aktive Facebook-Gruppe für unabhängige Verlegerinnen und Verleger habe ich einen Aufruf gestartet: Lasst uns gemeinsam ein kleines Buchmagazin machen, dort stellen wir alle Titel vor, die wir in Leipzig präsentiert hätten! Und schicken das an alle Buchhandlungen, an Blogs, an die Presse, an Leserinnen und Leser … Ich hatte mit 10 Verlagen gerechnet – am Ende waren wir 50. Die erste Ausgabe „Schöne Bücher“-Magazins war geboren.

Mittlerweile sind wir bei der siebenten Ausgabe, jetzt mit 100 Verlagen. Gemeinsam sind wir stark, das ist die Idee dahinter. Das Netzwerk hat sich seitdem entwickelt, über die Verlage kommen viele Ideen, die wir mit so viel Manpower gemeinsam stemmen können. Herausforderungen gibt es viele, aber das lässt sich im Gespräch stets lösen. Das Leben als Verlegerin oder Verleger ist ja an sich aktuell schon mehr Herausforderung denn je. Da soll die Netzwerkarbeit Lösungen und Ideen bieten, wie sich etwas erleichtern lässt.

2021 gewann Laura Vinogradova für ihr Debüt den Europäischen Literaturpreis. Jetzt ist der Roman auf Deutsch erscheinen, in einer Übersetzung von Britta Ringer
Gerade gibt es viele Diskussionen um die Stellung von kleinen Verlagen in der deutschen Literaturlandschaft. Sinkende Sichtbarkeit, ein Buchhandel, der sich wenig mit den Programmen befasst, erdrückende Monopolisierung – und zuletzt auch Kritik an der Verteilung von Preisgeldern. Wie siehst du die Zukunft der Verlagslandschaft?

Tatsächlich ist es momentan keine leichte Zeit. Aus den vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen höre ich das täglich heraus. Neulich hörte ich den Satz: „Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass ein Buch ‚nice to have‘ ist für die Leute, aber kein ‚must have‘.” Das klingt erstmal hart, aber ich denke, das stimmt. Wenn irgendwo gespart werden muss beim Konsum, dann fallen leider Bücher oft hintenrunter.

Und das merken die Verlage aktuell immer wieder. Das schnelle „Ich schau mal beim Buchladen rein und nehme mir mit, was mich da so anspringt.“ ist derzeit quasi nicht vorhanden. Stattdessen wird gezielt nach Titeln der „Bestsellerlisten“ gefragt. Was aber kaum jemand sieht: Dort sind oft die großen Konzerne zu finden, die Bücher mit ganz andere Möglichkeiten – personell, finanziell – bewerben können. Und die Indies? Gehen mit ihren Perlen im Sortiment leider oft unter, weil niemand davon weiß.

Ob es in einem Jahr weniger kleine Verlage als jetzt gibt? Oder gar in fünf, zehn? Ich weiß es nicht, befürchte aber: Ja. Das Sterben passiert nicht mit einem großen Knall und Abschiedsschmerz. Sondern die sind dann eben einfach nicht mehr da.

„Was im Feuilleton besprochen wird, wird gekauft“, heißt es oft. Welche Wege geht das Schöne-Bücher-Netzwerk, um die Bücher der Mitgliedsverlage an die Leserinnen und Leser zu bekommen?

Tatsächlich ist aus meiner Sicht und nach vielen, vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen da gar nichts mehr dran. „Wir hatten eine halbe Seite Buchbesprechung in der FAZ – und danach wurde nicht messbar mehr verkauft“: Sowas höre ich immer wieder. Zuletzt sogar nach großen Beiträgen in TV-Boulevardmagazinen, dabei galt das ja immer als Königsklasse der Buchbewerbung.

Mit dem Netzwerk versuchen wir uns breit aufzustellen. Es gibt unser gemeinsames Verlagsmagazin – ein Mix aus gemeinsamer Vorschau, Katalog, Magazin. Dazu gibt es jede Woche einen Newsletter für Buchfans und den Handel mit nette, bunten Geschichten aus den Verlagen oder über Autorinnen und Autoren. Wir teilen uns auch mal gemeinsam die Kosten für eine Anzeige in einem Fachmagazin – da kann jeder Verlag richtig was sparen, das hilft auch.

Zu den Buchmesse sind wir gemeinsam präsent. Erstmals im Herbst 2023 mit einem Schöne-Bücher-Stand auf der Frankfurter Buchmesse. In Leipzig hatten wir im Frühjahr 2023 eine gemeinsame Sticker-Sammel-Aktion, bei der mehr als 100.000 Aufkleber mit Buchvorstellungen verteilt worden. Das hat uns großes Feedback eingebracht und den Verlagen ganz neue Interessenten.

Gibt es eine besondere Erfolgsgeschichte aus dem Schöne-Bücher-Netzwerk, die dich besonders berührt hat und die du teilen möchtest?

Keine Einzelgeschichte, aber vielleicht kann ich so viel sagen: Ich freue mich total, wenn die Verlegerinnen und Verleger mit Ideen und eigenen Aktionen auf mich zukommen. Dann merke ich: Sie haben den Netzwerkgedanken verstanden und wissen, dass sie so mehr Aufmerksamkeit bekommen können, als wenn sie allein etwas tun. Gerade zum Beispiel gibt es Fotos von Verlegerinnen und Verlegern im Urlaub – natürlich immer in einer tollen Buchhandlung am Urlaubsort.

Klar ist die Arbeit immer zusätzlicher Aufwand und die eigene Verlagsarbeit bleibt immer oberste Priorität. Aber sind wir vielen kleinen Verlage, wenn wir es geschickt anstellen, nicht auch zusammen eine große Einheit? Na klar! Da ist noch viel Potenzial.

So schön sehen sie in der Wanne aus: Die wasserfesten Wannenbücher von Verleger Jens Korch
Indieverlage haben oft eine besondere Beziehung zu ihren Autor:innen und deine Edition Wannenbuch hat obendrauf noch einmal ein ganz besonderes Format. Wie pflegst du diese Beziehungen und wie kommen neue Autor:innen zu dir?

Ich merke, dass die Autorinnen und Autoren den direkten Kontakt zum Verlag schätzen – das ist bei großen Konzernverlagen gewiss in der Form nicht möglich wie bei uns. Ich kenne alle persönlich, wir treffen uns auf Messen wieder oder bei Lesungen – und da sind schon  richtig nette Freundschaften entstanden.

Auch neue Autorinnen und Autoren finde ich über Messen, meist kommt man dort am Stand ins Gespräch. Sie entdecken dann die Idee der wasserfesten Bücher der Edition Wannenbuch und fragen, ob sie sowas selbst nicht auch ausprobieren können. Das macht Spaß und ich könnte, gemessen an den eingesendeten Manuskripte, ein Vielfaches von dem veröffentlichen, was ich tatsächlich machen kann.

Wer sind deine Leser*innen?

Es sind vor allem – geschätzt 90 Prozent – Leserinnen. Leser tatsächlich weniger. Männer finden die Idee der Wannenbücher super, aber kaufen sie dann als Geschenk für eine Frau. Frauen selbst kaufen Wannenbücher für sich, als kleine Auszeit, als nette Idee für ein schönes Bad.

In deinem Imprint Paperento ist am 01. September 2023 eine erste Übersetzung aus dem Lettischen erschienen. Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, Bücher aus verschiedenen kulturellen Hintergründen und Ländern für deutsche Leser:innen zugänglich zu machen?

Superwichtig! Für mich ist es ein Pilotprojekt, aber schon bei der Recherche ist mir aufgefallen, was es da an vielen tollen Büchern gibt, die es absolut wert sind, auch von deutschen Lesern entdeckt zu werden.

Übersetzungen sind für den Verlag mit deutlich höherem Aufwand verbunden – die Übersetzung kostet Geld, es muss mit Autorinnen und Autoren und Verlagen im Ausland über die Konditionen gesprochen werden. Lesungen mit den Autorinnen und Autoren aus einem fremden Land hierzulande zu organisieren – ganz wichtig für die Buchbewerbung – ist ungleich aufwendiger. Es lohnt sich für Verleger, zu schauen, ob es Möglichkeiten an Unterstützung gibt – etwa über Förderprogramm für Verlage und/oder Übersetzerinnen und Übersetzer.

Bei uns erscheint im Herbst „Wie ich lernte, den Fluss zu lieben“ von Laura Vinogradova, ein toller, ein wenig melancholischer, sprachgewaltiger Roman über eine Frau auf der Suche nach sich selbst. Das Buch (im Original: „Upe“) hat 2021 den Europäischen Literaturpreis gewonnen, und das gewiss nicht ohne Grund.

Können wir auch in Zukunft Übersetzungen aus anderen Sprachen bei dir finden? Vielleicht sogar beim Wannenbuch?

Warum nicht? Mal schauen, wie der erste Versuch so ankommt bei den Leserinnen und Lesern. Letztlich muss auch ein Buch gut kalkuliert sein, sonst ist der Verlag am Ende nur ein teures Hobby – und das bringt es ja auch nicht.

Welche drei Bücher empfiehlst du als Herbstlektüre in diesem Jahr?

Nicht drei, sondern zehn! Genau so viele Titel nämlich erscheinen im Herbst 2023 in der Schöne-Bücher-Bibliothek. Auch das ist ein Versuch des Netzwerkes, gemeinsam nach neuen Werken zu suchen. Wir haben ein Jahr lang daran gearbeitet, haben zum Auftakt dieser Edition der unabhängigen Verlage zehn Autorinnen und Autoren am Start.

Die Genres sind querbeet: vom preisgekrönten Roman über Spannung aus dem Mittelalter, Einblicke hinter die Kulissen der Bühne oder Reisegeschichten bis zum Drama auf dem Mars. Die Reihe ist kuratiert von den Verlagen, die ihre besten Titel in die Schale geworfen haben – und die wir mit einem gemeinsamen Design nun zusammen bewerben.

Alle Titel sind lesenswert, sonst hätten wir das nicht gemacht. Mehr dazu gibt es unter www.schoenebuecher.net/bibliothek

Buchpremiere

Ankündigung für die Buchpremiere des Romans "Wie ich lernte, den Fluss zu lieben" von Laura Vinogradova

23. September 2023, 19:00 Uhr

Haus am Dom, Domplatz 3, Frankfurt am Main.

Buchpremiere: „Wie ich lernte, den Fluss zu lieben“, ausgezeichnet mit dem Europäischen Literaturpreis 2021. Autorin Laura Vinogradova stellt ihr eben auf Deutsch erschienenes Buch im Gespräch mit Verleger Jens Korch (Paperento Verlag) vor.

Eine Veranstaltung der Plattform Latvian Literature, der Lettischen Gesellschaft in Frankfurt e.V. und des Honorarkonsulats.

Begrüßung: Rüdiger von Rosen, Honorarkonsul der Republik Lettland.
Moderation: Bettina Bergmann
Dauer: 90 Minuten
Sprache: Deutsch

Eintritt frei. Ein Büchertisch ist eingerichtet.

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Aus dem Lektorat Menschen und Bücher

Wie veranstalte ich eine Lesung?

Eine Lesung ist eine großartige Gelegenheit, dein Werk einem Publikum vorzustellen. Mit guter Planung gehst du entspannt an diese Veranstaltung heran. Gerade für Menschen, die noch nie vor Publikum gesprochen haben, ist gute Vorbereitung hilfreich.

So bereitest du deine Lesung vor

Wähle einen Veranstaltungsort aus, der gut zu deinem Werk und der Atmosphäre passt, die du schaffen möchtest. Du solltest auch sicherstellen, dass der Ort leicht zugänglich und bequem für das Publikum ist.

Die meisten Veranstaltungsorte planen sehr langfristig. Wenn du deine Anfrage stellst, stelle sicher, dass du alle relevanten Informationen übersichtlich mitlieferst. Am besten eignet sich dazu ein sogenannter “Waschzettel”. Auf EINER Seite präsentierst du alle Informationen zu dir und deinem Buch: Inhaltsangabe, Kontaktdaten, Cover, Bestellwege. Halte auch eine Leseprobe bereit, auf die Veranstalter:innen zugreifen können.

Wenn der Ort und Termin feststehen, wird es Zeit für Marketing. Mach Werbung für deine Lesung, indem du sie auf Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter bewirbst und eine Einladung an deine Leserinnen und Leser sendest. Du solltest auch Flyer drucken und sie an öffentlichen Orten wie Bibliotheken oder Buchhandlungen aushängen.

Bereite dich gut vor: Wähle deine Textpassagen sorgfältig aus und übe sie. Hol dir Feedback von Freund:innen und Verwandten, ob du ausreichend laut und lebendig liest. Wenn du ein Sachbuch geschrieben hast, überlege dir, was du darüber erzählen möchtest und bereite deinen Vortrag gut vor.

Achte auf die Zeit. Eine Lesung sollte nicht zu lang sein. Aus meiner Erfahrung heraus hat sich das Format von einer Stunde gut bewährt. Lass Fragen aus dem Publikum zu und überlege dir schon im Vorfeld, welche Fragen wahrscheinlich gestellt werden.

Was, wenn niemand zu meiner Lesung kommt?

Lesungen sind immer eine innere Zerreißprobe. Die meisten Autor:innen kennen das Gefühl der Unsicherheit. Oft haben sie Freunde oder Familienmitglieder, die zu unseren Lesungen und Veranstaltungen kommen. Aber fast allen passiert es früher oder später: Niemand, wirklich absolut niemand kommt zur Lesung. Wer würde da nicht enttäuscht sein?

Die Wahrheit ist: Das kann wirklich allen mal passieren.

Auf Twitter teilte vor einiger Zeit eine Autorin einen Tweet darüber, dass nur 2 Menschen zu ihrer Lesung auftauchten. Viele Kolleg:innen antworteten darauf mit Stories und Bildern, wie es ihnen ergangen war.

Unter anderem auch Neil Gaiman, der über eine Lesung schrieb: „Terry Pratchett and I did a signing in Manhattan for Good Omens that nobody came to at all. So you are two up on us.“ (LINK) Margaret Atwood erging es ähnlich, nur dass ein verirrter Besucher sie für eine Verkäuferin hielt und nach einem Produkt fragte.

Auch wenn es schwerfällt: Wenn niemand zur Lesung kommt, sei nicht entmutigt. Es gibt viele Gründe, warum jemand nicht kommen kann, von der Baustelle auf dem Weg bis zum übervollen Terminkalender oder Regenwetter. Beim nächsten Mal kann es schon ganz anders aussehen.

Bild: Roel Dierckens auf Unsplash  

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„Meine Wunschliste ist riesig und immer im Wandel.“ | Kimonobooks im Interview

Was wären wir ohne Buchblogger*innen? Wesentlich uninformierter, wenn es um Neuheiten auf dem Buchmarkt oder Empfehlungen geht. Gerade auf Instagram gibt es eine lebendige Community mit #bookstagram. Tina von kimonobooks ist eine dieser sehr aktiven Buchbloggerin. Regelmäßig veröffentlicht sie Rezensionen und empfiehlt neben Romanen auch wertvolle Sachbücher.

Von der privaten Website über einen Nagellackblog hin zur Buchbloggerin - was reizt dich an deinen Themen so, dass du seit 2012 schon dabei geblieben bist?

Das ist eine sehr gute Frage! Genau wie damals beim Nagellack bis hin jetzt zu meinen Büchern hatte ich in meinem direkten Umfeld eigentlich nie jemanden, der*die genauso begeistert ist wie ich – ich habe grundsätzlich also nach Austausch gesucht. Den gibt es mittlerweile ja glücklicherweise via Instagram. Einige Freund*innen habe die ich durch die Plattform gewonnen. Dranbleiben hat sich also gelohnt!

Tina von Kimonobooks
Unter dem Namen Kimonobooks stellt die Bloggerin Tina auf Instagram Bücher vor

Eines deiner Themen sind die Literaturen Ostasiens - gerade Japan und Korea kommen bei dir immer wieder vor. Wie bist du dazu gekommen?

Ich bin in meinen Teenager-Jahren durch eine typische Anime- und Manga-Phase gegangen, nach der das große Thema „Asien“ erstmal untergetaucht, aber nie verschwunden ist. Gelegentlich habe ich Filme aus der Region geschaut, bis dann irgendwann mehr und mehr Bücher japanischer, chinesischer und koreanischer Autor*innen dazugekommen sind und ich immer mehr in die Filmszene Ostasiens abgetaucht bin. Und damit kam dann auch der Wunsch, (zunächst) nach Japan zu reisen und damit das nicht allzu peinlich wird, am besten auch gleich die Sprache zu lernen.

Gibt es einen Roman aus Japan oder Korea, der sofort ins Deutsche übersetzt werden sollte?

Ganz soweit, dass ich Bücher in der Originalsprache lesen könnte, bin ich leider noch nicht, aber ich habe einen Geheimtipp, der letztes Jahr ins Englische übersetzt wurde: „People from my Neighbourhood“ von Hiromi Kawakami. Während ihre anderen Bücher meist Liebesgeschichten erzählen, sind das hier Mikro-Kurzgeschichten von oftmals nur zwei Seiten Umfang – und das so unglaublich kreativ und fantasievoll, dass ich es wirklich allen ans Herz legen kann. Offen für Verrücktes sollte man aber schon sein!

Auf Instagram gibt es ein paar tolle Buchclubs, in denen gemeinsam gelesen wird. Wir treffen uns ja immer mal wieder in der Diskussionsgruppe des Komorebi-Buchclubs, bei dem es um japanische Literatur geht. Hast du Tipps für andere Lesegruppen oder für Menschen, die gern einen Readalong veranstalten wollen?

Die einzige weitere Leserunde, an der ich einigermaßen regelmäßig teilnehme, ist der Femibuchcub von @bearnerdette, wo wir alle zwei Monate Sachbücher oder Essay-Bände rund um das Thema Feminismus (und alles, was noch dazu gehört) lesen. Ich muss gestehen, dass ich bei Leserunden nur voll dabei bin, wenn ich das Buch entweder ohnehin auf dem SUB habe oder es ganz dringend lesen möchte. 

Wie wichtig ist es dir, dir Leseziele für ein Jahr zu setzen und wie trackst du sie? Oder ist das nicht auch ein Teil unserer Konsumkultur, in der wir uns alle optimieren wollen und zeigen, was wir erreichen?

Ich persönlich setze mir sehr gerne Leseziele (Goodreads Reading Challenge) – aber nicht, weil ich fix soundsoviele Bücher pro Jahr lesen möchte, sondern einfach um übers Jahr zu schauen, was und wie viel ich lese und ob sich unterjährig etwas in meinem Leseverhalten verändert. Ich kann aber auch die Menschen verstehen, die sagen, dass sie ihr gelesenen Bücher überhaupt nicht tracken, weil es um die Erfahrung des Lesens an sich gehen sollte und nicht um eine bestimmte Zahl. Da stimme ich auch voll zu – auch, wenn ich das tracke, sage ich nicht: „Diesen Monat waren es nur x! Das ist aber wenig!“ Und bin auch nicht enttäuscht (oder zufrieden), wenn ich mein Leseziel erreiche bzw. eben nicht.

Aber ja, ich würde schon sagen, dass auch das Tracken von gelesenen Büchern irgendwie zu unserer Optimierungskultur zählt. Wie viele Artikel ich schon zum Thema „So viele Bücher lesen erfolgreiche Menschen“ gelesen habe! Das ist immer auch ein wenig schade, denn diese Fixierung auf die Anzahl ist ja gar nicht wichtig – Qualität und die Freude an der Lektüre zählen da doch so viel mehr. Und auch die Konsumkultur spielt da mit rein, denn wir werden allein auf Instagram täglich mit so vielen Büchern und Lesetipps bombardiert, auf ganz vielen Profilen wird zeitgleich der nächste Bestseller besprochen – da entsteht dann schon ein wenig FOMO und der Druck, sich das Buch ganz schnell besorgen zu müssen, um mitreden zu können …

Du bist mit dem Vorsatz, weniger kaufen zu wollen, ins Jahr 2022 gestartet. Wie läuft es da bisher und was hat dich zu deinem Vorhaben gebracht?

Tatsächlich ist der gute Konsum regelmäßig Gesprächsthema von mir und der lieben Silke (@bearnerdette) und durch diesen Fokus bin ich dann mehr oder wenig zufällig auf Nunu Kallers neues Buch „Kauf mich!“ gestoßen, in dem sie die Tricks  der Textilindustrie bis zum Supermarkt um die Ecke unter die Lupe nimmt – und wie Konsumenten dann damit umgehen. Im Januar habe ich dann noch ihr früheres Buch „Ich kauf nix!“ gelesen und das hat dann endgültig meinen Beschluss besiegelt, dieses Jahr weniger, bewusster und auch nachhaltiger einzukaufen. Und bisher läuft es auch ganz gut, was ich ehrlich gesagt nicht gedacht hätte! Noch im Dezember gehörten Impulskäufe für mich einfach dazu. Dadurch, dass ich jetzt sämtliche Newsletter von Shops abbestellt habe (so simpel es klingt) und aktuell auch weniger Zeit auf Instagram verbringe, bin ich weniger Werbung ausgesetzt – und was ich nicht sehe, das kann ich auch nicht haben wollen! Für alles, was ich aber trotz Vorsichtsmaßnahmen sehe und ich „sofort haben muss“, habe ich jetzt eine Liste, wo ich diese Wünsche einfach aufschreibe. Ein paar Tage liegen lassen, noch mal drauf schauen und voilá: In den meisten Fällen war es dann doch nicht so überlebenswichtig und ich kann es wieder streichen. Alles, was darauf stehen bleibt, kann ich irgendwann an die Weihnachtswichtel weitergeben. 🙂

Allerdings bezieht sich dein Vorsatz auch auf Bücher - was ist ein notwendiges Buch und was nicht? Oder sind Bücher eine große Ausnahme? (Bei mir ist es so, dass Bücherkauf immer zulässig ist. Mein SuB ist aber auch nicht sehr groß.)

Da mein SUB bei knapp 240 Büchern liegt, muss ich da wirklich auf die Handbremse treten, weshalb mein Konsum-Vorsatz auch für Bücher greift. Idealerweise wird nichts neu gekauft, sondern bei Tauschticket ertauscht oder maximal bei Medimops gebraucht gekauft. Rezensionsxemplare sind natürlich auch irgendwie ausgeschlossen. Also bin ich nicht komplett außen vor, was neue Bücher betrifft – ich bin nur öfter gezwungen, mich mit meinem SUB zu beschäftigen. Eine klitzekleine Ausnahme würde ich für mich aber bei Sachbüchern sehen, hier gibt es ja einen Bildungsauftrag – so konnte ich mir gegenüber im Januar bspw. drei gebraucht über Medimops erstandene Bücher rechtfertigen.

Wie groß ist deine derzeitige Buch-Wunschliste und welche 2 Bücher stehen ganz oben?

Meine Wunschliste für Bücher ist riesig und auch stets im Wandel – aktuell stehen aber eher welche ganz oben, die noch gar nicht erschienen sind: Auf „Rot (Hunger)“ von Senthuran Varatharajah und „Die Welt vor den Fenstern“ von Tatjana von der Beek freue ich mich gerade aber am allermeisten.

Mit mehr als 1.000 Followern und guten Zugriffszahlen auf deinem Blog bist du bereits eine etablierte Bloggerin. Kommen die Verlage inzwischen auf dich zu? Und welchen Druck macht Social Media gerade Buchblogger*innen?

Gelegentlich gibt es tatsächlich die ein oder andere Anfrage von Verlagen, aber das hält sich alles in Grenzen. Was aktuell auch ganz gut ist. Denn auch wenn natürlich nicht jede Anfrage was für mich ist – gerade würden mir einfach die Zeit und Muße dazu fehlen, groß bei Kooperationen oder Ähnlichem mitzumachen. Aber der Druck ist schon da, das auf jeden Fall. Und wenn dann eine Mail reinflattert für die nächste große Neuerscheinung, dann juckt es natürlich schon in den Fingern, diese pünktlich zum Erscheinungstermin zu besprechen.

Das Thema Rezensionsexemplare generell ist ja unglaublich mit Druck beladen – Druck, das Buch schnell auszulesen, um es dann auch möglichst zeitnah zu besprechen, um noch relevant zu sein. Ich kenne auch Schuldgefühle, wenn man ein Buch Monate vor dem Erscheinungstermin angefragt hat und dann bis Erscheinen dann die Leselust nicht aufkommen will. Oder wenn ein Rezensionsexemplar mir überhaupt nicht gefällt und ich es am liebsten abbrechen möchte, aber mir selbst den Druck mache, es auch „richtig“ zu besprechen … Du siehst, hier könnte ich endlos weitermachen. Druck ist ein nicht gerade kleines Thema für mich als Bloggerin. 

Druck macht sicher auch die Gestaltung des Feeds. Dein Feed macht einen sehr kuratierten EIndruck, Farben, Motive und Zusammenstellung sind aus einem Guss. Dahinter steckt sicher eine ganze Menge Arbeit. Neben den Büchern und deiner Katze Gobi gibt es auch ein paar Bilder von dir. Der Algorithmus bevorzugt Gesichter. Erzeugt auch das einen Druck, sich selbst möglichst „optimiert“ zu präsentieren?

Der Feed-Gestaltung widme ich ehrlich gesagt gar nicht so super viel Aufmerksamkeit – ich habe in der Vergangenheit schon mal versucht, ein bestimmtes Muster reinzubekommen oder auch einen super einheitlichen Stil, aber das hab ich nie lange durchgehalten. Viel zu oft hat man eben gerade kein Katzenbild parat oder erinnert sich siedend heiß an den einen Post, der schon seit Monaten geposted werden will – dann aber natürlich nicht in den einheitlichen Feed passt. Daher habe ich diesbezüglich kapituliert – freue mich aber trotzdem, dass du einen roten Faden erkennen kannst!

Bezüglich den Selfies: Da kann ich den Algorithmus gut verstehen (ausnahmsweise mal), denn ich sehe auch gerne, wer hinter einem Account steckt und dass nicht „nur“ Bücher gezeigt werden. Da muss ich mich aber selbst an die Nase fassen, denn ich verstecke mich da gerne und bin bestimmt nicht das beste Beispiel. Aber wenn es dann mal ein Foto mit mir selbst darauf wird, dann natürlich nicht unbedingt eines, das ich lieber aussortieren möchte. Da ich aber „Beautifying“-Filtern und generell auch Schönheitsidealen kritisch gegenüberstehe, zeige ich mich so, wie ich eben bin, und bearbeite da auch nichts nach – wir werden alle ohnehin schon viel zu stark mit totoptimierten Bildern bombardiert, da mag ich mich nicht einreihen. Trotzdem gilt es immer im Hinterkopf zu behalten: Unsere Feeds sind nur unsere „Highlight Reels“ (weiß leider nicht mehr, woher ich den Begriff habe): Auch, wenn nicht nachbearbeitet wird, nehmen wir doch meist das vorteilhafteste Bild. 

Empfohlene Bücher

Immer öfter höre ich, dass Buchblogger*innen mit Instagram nicht mehr glücklich sind. Oft sehen wir die gleichen Bücher bei vielen Accounts und auch auf externe Websites klickt angeblich niemand mehr. Teilst du dieses Gefühl?

Auf jeden Fall! Die Übersättigung kenne ich auch – wie erst ganz kürzlich beim neuen Buch von Hanya Yanagihara. Für die Verlage ist es natürlich schön, wenn ein Kanal von einem ihrer Bücher zum Release geflutet wird – wenn man auf der anderen Seite steht, mag man an diesen Tagen eher weniger in den eigenen Feed schauen. Wenn so etwas absehbar ist, versuche ich, mit ein wenig Verzögerung zu posten. Auch das Gefühl, dass niemand mehr auf externe Seiten klickt, teile ich! Zwar wird es uns mit dem Link-Sticker leichter gemacht, jedoch merke ich selbst, dass ich kaum noch Blogs besuche, und merke das andersherum an meinen Zugriffszahlen auf meinem eigenen Blog. Der Fokus scheint sich hier deutlich auf snackable content verlegt zu haben.

Steht der snackable content nicht aber eigentlich unserer intensiven Auseinandersetzung mit Büchern im Weg?

Ja, auf jeden Fall! Wenn ich nur kleine Häppchen an Rezensionen und Kommentaren zu Büchern konsumiere, leidet darunter die tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Gelesenen und auch die Diskussion mit anderen Menschen. Das ist ein wenig schade, aber in unserer schnelllebigen Zeit wohl nicht anders zu erwarten. Achtsamer mit Medien umzugehen und sich auch gerne Zeit nehmen, ausführlichere Besprechungen zu Büchern zu lesen, die mein Leseerlebnis auch erweitern können, steht auch ganz oben auf meiner Agenda.

Auf welche Bücher freust du dich noch in diesem Jahr?

Meine Liste ist wie jedes Jahr nach Sichtung der neuen Verlagsvorschauen lang, auf einige Schätzchen freue ich mich aber ganz besonders, etwa das neue Buch von Amélie Nothomb, „Automaton“ von Berit Glanz und auch diversen Autor*innen aus dem asiatischen Raum – diese Vorschauliste hatte ich vor einer Weile auch auf meinem Profil geteilt.

Hier findet ihr Tina Wagner von Kimonobooks:

Kimonobooks – Blog

@kimonobooks auf Intagram