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Menschen und Bücher

„Menschen mit Büchern matchen ist meine Leidenschaft“ | Trude Schneider im Interview

Auf das dritte Interview in der Reihe Menschen und Bücher habe ich mich schon lange gefreut!

 

Trude Schneider ist keine Unbekannte in der deutschen Buchbranche. Die Netzwerkerin kennt gefühlt alle Menschen und ist nie verlegen um die Vermittlung guter Kontakte und schöner Begegnungen.

 

An einem eisigen Novembertag trafen wir uns in Berlin, meiner Heimatstadt, auf einen Kaffee und drei oder vier Buchtipps – aber natürlich nicht in irgendeinem der vielen Cafés, sondern in einer sehr besonderen Buchhandlung in Berlin-Neukölln. Im SheSaid finden geneigte Leser*innen ausschließlich Bücher von weiblichen und queeren Autor*innen – hier gibt es weder Böll noch Houellebecq. Dafür aber viel spannende Literatur von z. B. Virginia Woolf, Christoph Isherwood oder auch Linus Giese (steht hier übrigens auch mal hinter dem Tresen).

Liebe Trude, wir treffen uns heute in Berlin - genauer gesagt in einem Buchladen. Das ist für uns an sich nichts Ungewöhnliches, denn über Bücher haben wir uns ja auch kennengelernt…was verbindet dich insbesondere mit diesem Buchladen?

Das She Said liegt ja nicht mal eben so bei mir um die Ecke und trotzdem bin ich hier sehr regelmäßig zu Besuch. Mich verbindet mit dieser Buchhandlung so vieles … ich denke, dass die ganze queere Community aufgeatmet hat, als dieser Buchladen entstand: ein Ort für uns, in dem wir gesehen werden, die richtigen Bücher und Autor*innen finden, die kompetent vorkuratiert werden. Die Bücher wurden von Frauen und queeren Menschen geschrieben. Wenn ich dort ein Buch hole, dann darf ich mir sicher sein, dass die Inhalte zu meiner Lebensweise und meinem feministischen Denken passen, mich inspirieren und bereichern. Und ich habe ja selbst über drei Jahre in Neukölln gelebt und bin immer wieder gerne dort. Im She Said ein Buch kaufen und dann in einem netten Café am Maybachufer oder im Graefekiez lesen ist für mich Lebensqualität pur. 

Trude Schneider von Literaturpower
Trude Schneider lebt und arbeitet in Berlin als Literaturvermittlerin, Deutschlehrerin und Social-Media-Expertin. Bild: Rebecca Sampson

Das ist natürlich nicht der einzige Buchladen, den du in Berlin frequentierst. Was sind deine Top-3-Buchläden der Stadt?

Schon gemein, dass ich jetzt nur drei nennen darf. Ich fange mal an mit denen, die ich wirklich regelmäßig besuche: Da steht an erster Stelle der Berliner Büchertisch. Die Filiale in der Gneisenaustraße frequentiere ich beinahe wöchentlich und kaufe immer ein paar Bücher für Freund*innen und mich. Übrigens haben sie auch eine ganz kleine Erotikabteilung (ein bisschen versteckt, aber mit Hocker und gezieltem Blick erreichbar). Und die Kinderbuchabteilung ist auch großartig, sie haben ein tolles Leseförderungskonzept: Kinder dürfen dort einmal am Tag vorbeischauen und sich ein Buch kostenlos aussuchen und behalten. Das finde ich wunderbar und absolut unterstützenswert. 

Im Berliner Büchertisch waren wir ja auch 2019 mit Kathrin Schwarz auf unserer Old Books Treasure Hunt: wir drei und noch ein paar andere Buchbegeisterte auf einer wilden Tour quer durch die Berliner Antiquariatslandschaft. Das war wirklich ein Traum und wir hoffen auf ein baldiges Revival. Vielleicht ja schon im Sommer?

Im Friedrichshain besuche ich gerne Unforgotten Books und in Kreuzberg das Leseglück. Diese kleinen unabhängigen Buchhandlungen, die von super sympathischen Buchhändler*innen geführt werden. Wenn ich mich nicht auf drei reduzieren muss, dann möchte ich noch unbedingt das Ocelot und Dussmann nennen: die Menschen, die Auswahl, die Atmosphäre und die Lesungen – es sind Orte, die für mich Inspiration und Glück bedeuten.

Woran arbeitest du derzeit?

Irgendwann im Laufe meiner Literaturpower-Karriere wurde aus der Buchvermittlerin Trude die Social-Media-Expertin und nun gebe ich inzwischen Kurse und Coachings in der Buchbranche, um Buchhandlungen und Verlagen zu helfen, ihre Social-Media-Präsenzen aufzubauen. Daneben betreue ich mit Herzblut die Social-Media-Kanäle des Äquatorkind Verlags, für den ich freiberuflich arbeite. Ich lerne hier immer wieder viel Neues und gewinne wichtige Einblicke in die Branche aus Verlagsperspektive. Bibliodiversität ist mir ein besonderes Anliegen. Es macht mir große Freude mit Unternehmen wie Genialokal zu kooperieren oder für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels zu arbeiten. Literaturpower und das Buchmarketing teilen sich meine Aufmerksamkeit mit einem zweiten eigenen Business, in dem ich weniger mit Literatur und wieder mehr mit der Sprachvermittlung zu tun habe. 

Auf deinem Instagram-Account gibt es die Reihe Humans of Books, in der du Menschen beim Lesen fotografierst oder kleine Interviews mit ihnen führst. Haben sich über diese spontanen Begegnungen auch schon Freundschaften ergeben?

Über Instagram und die sozialen Medien haben sich viele Freund*innenschaften ergeben und das finde ich total bemerkenswert. Und auch für Humans of Books habe ich schon viele Menschen fotografiert mit denen ich gut bekannt oder sogar befreundet bin. Aber bis auf wenige Ausnahmen, blieb ich mit spontanen Begegnungen für mein Herzensprojekt meist auf professioneller Distanz. Ich kann dir gar nicht genau sagen, warum das so ist. Vielleicht schreckt das DSGVO-Paper, das ich immer zücke und auf dem ich mir die Erlaubnis, ein Foto oder Video zu machen, unterschreiben lasse auch ein wenig ab. Na und dann ist zu bedenken: Lesende Menschen möchte ich auch gar nicht zu lange stören. Fix Foto geknipst, danke sagen und weiterlesen lassen.

Auf literaturpower.de hilfst du Menschen dabei, das richtige Buch für ihr Lebensgefühl oder zu einem bestimmten Thema zu finden. Was hat dich zu Beginn deiner Karriere dazu bewegt, dieses Projekt zu starten?

Im Grunde habe ich das schon immer gemacht: Menschen mit Büchern zu matchen war und ist meine Leidenschaft. Irgendwann erfuhr ich von der Bibliotherapie, sah mich darin und dann noch etwas später wollte ich das richtig professionell aufbauen. Ich biete ja keine konventionelle Therapie an, sondern empfehle Bücher, die in unterschiedlichen Lebenssituationen bereichern, herausfordern und inspirieren können. Dabei hatte ich lange geplant, mal etwas eigenes zu starten und selbstständig zu sein und dann ging es erstmal nicht so sehr darum womit ich das mache, sondern Hauptsache ins Machen kommen und irgendetwas mit Literatur und Sprache. Ich wollte meine Leidenschaft leben und glücklicherweise hat sich das als die richtige Entscheidung erwiesen.

Dein vorletzter Artikel dreht sich um das Thema sexuelle Intelligenz - du empfiehlst ein paar gute Bücher und Toys von funfactory - und erzählst dabei auch sehr frei aus deinen eigenen Erfahrungen. Siehst du hier noch immer einen großen Nachhol- und Redebedarf bei Menschen?

Ja, krass! Es gab noch nie so viel Feedback zu einem meiner Artikel wie zu diesem. Der Redebedarf ist groß und da ist tatsächlich auch noch viel Nachholbedarf. Weshalb ich auch weiter mit funfactory kooperieren werde. Der nächste Artikel in der Reihe ist bereits in Planung und wird womöglich sogar etwas kinky angehaucht sein. Denn obwohl über 50 % der Menschen kinky Fantasien haben, findet hier noch so viel Stigmatisierung statt. Wie schade ist das?!! Was aber schön ist: es gibt immer mehr Publikationen im Bereich des Sexpositivismus. Menschen lernen in ihnen, dass Sexualität wenig Grenzen kennt und von Asexualität bis BDSM alles seinen Raum findet und völlig normal ist. Es macht mir Spaß diese Bücher zu lesen, über sie zu schreiben und dann mit anderen Menschen darüber in den Austausch zu gehen. Das hat mich persönlich bereits sehr wachsen lassen.

Was glaubst du: Macht die Liebe mehr Menschen unglücklich als glücklich?

Das ist eine super spannende Frage. Aktuell beschäftigt mich das Konzept “Liebe” sehr und ich versuche auf verschiedenen Ebenen zu verstehen, was es eigentlich bedeutet jemanden zu lieben. Şeyda Kurts Radikale Zärtlichkeit hat mich da noch mal sehr angestachelt und meine ganz persönlichen Grenzen zwischen Beziehungen und Freund*innenschaften verschwimmen zunehmend. Liebe hat in der Vergangenheit in meinem Leben zu starker Verschmelzung mit meinen Partner*innen geführt und ja, dann glaube ich, dass das früher oder später auch unzufrieden macht, weil wir uns selbst verlieren. Allein diese starke Erwartung, dass genau das passiert: eine andere Person mache uns vollständig, und diese ewige Suche danach macht schon unglücklich. Daniel Schreibers Allein gibt da auch nochmal viele Denkanstöße. Liebe kann so viel mehr bedeuten und vielleicht viel freier und undefinierter funktionieren. Ich mag zwar Labels, weil sie Struktur geben und ich schon so ein kleiner Struktur-Suchti bin, aber ich dekonstruiere aktuell meine Labels. Kurt hat da meiner Ansicht nach einen wichtigen Punkt: weniger romantisieren und dafür mehr in Zärtlichkeit denken und zulassen.

Ich kenne dich als großartige Netzwerkerin, die in der Buchbranche, aber auch außerhalb, die unterschiedlichsten Menschen zusammenbringt. Man sagt ja: „Wer Gutes tut, dem wird auch Gutes geschehen.“ Ist das für dich so?

Lieben Dank für die Blumen! Wenn ich so auf 2021 zurückschaue, dann fühle ich tatsächlich große Dankbarkeit. Ich habe so viel bekommen, so tolle Menschen getroffen und viel Schönes erlebt. Ich kann die kleinen Momente wertschätzen und ich bin wirklich kein Mensch, der nur mit rosa Brille durchs Leben geht. Aber aktuell habe ich wenig Grund zu klagen. Ob das nun mit dem zusammenhängt,  was ich gebe?  Vielleicht ein kleines bisschen.

Nicole Seifert vom Blog nachtundtag hat in ihrem Buch „FrauenLiteratur, Abgewertet, Vergessen, Wiederentdeckt“ viel über die Ungleichheit in der Behandlung von Literatur von Frauen und Männern geschrieben. Mit Palomaa Publishing aus Leipzig gibt es jetzt einen Verlag von Frauen, die exklusiv Frauen verlegen - ähnlich ist es auch mit dem neuen AKI-Verlag. Und wir sitzen bei She Said - siehst du, dass sich etwas ändert in der Literaturszene?

Noch viel zu langsam, wenn du mich fragst. Die Strukturen sind so zäh und die Gemüter so eingefahren. Viele verstehen Feminismus immer noch als Aggression und können mit Queerness wenig anfangen. Systemische, strukturelle Diskriminierung anzugehen ist ein Mammutprojekt und ich freue mich über jede feministische Publikation, bin aber immer mal wieder auch ernüchtert ob der Hürden, die weiterhin zu nehmen sind. Ich schaue inzwischen sehr genau darauf, wer ein Buch geschrieben hat und wem ich Reichweite geben möchte. Das war zu Beginn von Literaturpower anders. Ich nenne jetzt lieber keine Namen, aber sagen wir mal so: nicht auf alle meine Rezensionen bin ich stolz.


Die Gründung des She Saids hat mich sehr glücklich gemacht. Die Branche ist ja eh total weiblich und es lesen auch deutlich mehr Frauen als Männer. Vielleicht kann sich daran ja noch etwas ändern. Übrigens hatte ich sogar Gelegenheit zur Buchpremiere von Nicole Seiferts Frauen Literatur im Ocelot zu gehen. Spannend und erkenntnisreich!

Empfohlene Bücher

Empowerment zieht sich wie ein roter Faden durch dein berufliches Schaffen. Wie sieht es mit deiner privaten Lektüre aus? Sehr weiblich, sehr queer? Und was ist derzeit dein Lieblingsbuch, das du allen empfehlen würdest?

Total weiblich und queer. Im letzten Jahr habe ich aktiv mit Hörbüchern angefangen und lausche vielen Ratgebern und Sachbüchern. Ich liebe gute Belletristik und dank dem Avant-Verlag, der auch in Berlin sitzt, lese ich inzwischen immer mal wieder Graphic Novels mit sehr viel Enthusiasmus. Da gibt es so wahnsinnig viel zu entdecken. Und du weißt ja: es gibt so viel zu lesen und so wenig Zeit. Hörbücher höre ich übrigens mit doppelter Geschwindigkeit. 

2021 habe ich häufig Ich bin Linus von Linus Giese und Radikale Zärtlichkeit von Şeyda Kurt verschenkt und empfohlen. Ein Roman, der mich zuletzt besonders berührt hat war Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky. 

 

**Anmerkung** Trude Schneiders neuer Artikel empfiehlt aktuelle feministische Lektüren für alle. Reinlesen lohnt sich!**

Welche Pläne hast du für 2022?

„Der Plan ist alles. Der Plan ist nichts.“ Ich plane sehr sehr gern, muss aber nicht dogmatisch an meinen Plänen festhalten. Ein größeres Projekt habe ich schon vor einiger Zeit in Angriff genommen und zumindest die ersten Schritte sollen in diesem Jahr umgesetzt werden: “Femquotes”. Bei meiner Arbeit fiel mir oft auf, dass Zitate, die wir im Internet finden, fast ausschließlich von Männern stammen und das hat mich sehr geärgert. Das macht ja etwas mit uns, wenn wir motivierende, schlaue Zeilen lesen und die immer nur Männern zugeschrieben werden. Es ist wirklich mühsam gute Zitate zu finden, die von Frauen und queeren Menschen stammen, dabei gibt es die. Sie müssen nur verfügbar bzw. auffindbar gemacht werden. Dazu möchte ich mit Femquotes einen Beitrag leisten. 

Für Literaturpower sind auch schon die nächsten Artikel geplant. Es wird um japanische Literatur gehen, ein Sinologe wird bei mir über chinesische Comics schreiben und vegane Kochbücher werden von Silke Krämer vorgestellt. Humans of Books wird hoffentlich wieder aktiver von mir bespielt. Ich sehe ja, wie sehr sich die Menschen darüber freuen und dann möchte ich super gerne endlich mit Kathrin Schwarz in die zweite Auflage der Old Books Treasure Hunt gehen.

Und noch eine letzte Frage und damit zurück zur Selbstliebe: Wann hast du zuletzt mit einem liebevollen Mund geküsst?

Da fallen mir gleich diese Liedzeilen ein: “Maybe I can steal a kiss tonight, after all, it’s Christmastime.”

Alle Coverbilder via amazon.

Bilder von Trude Schneider: Rebecca Sampson.

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Aus dem Lektorat

Wie wird man eigentlich freie Lektorin?

Als Lektorin macht man doch was mit Büchern, oder? Liest man da nicht den ganzen Tag Manuskripte? Das sind Fragen, die ich schon einige Male gehört habe, wenn ich jemandem von meinem Job als Freie Lektorin erzähle. Aber wie findest du einen Einstieg in diese Tätigkeit und was solltest du erledigen, bevor du dich in den ersten Text stürzt?

In diesem Artikel gebe ich dir ein paar wichtige Hinweise, die du beachten solltest, wenn du dich als freie Lektorin selbständig machen möchtest. Ich aktualisiere ihn hin und wieder, damit du auf dem neuesten Stand bist (letzte Aktualisierung: 12.03.2023).

Unterschiedliche Berufe: Verlagslektor und Freier Lektor

Zuerst müssen wir über einen sehr wichtigen Unterschied sprechen. Es gibt nämlich zwei Arten von Lektor*innen: die, die im Verlag arbeiten und jene, die freiberuflich arbeiten und nicht angestellt sind.  Ihre Tätigkeiten unterscheiden sich sehr deutlich.

Lektor*innen im Verlag sind in den meisten Fällen gar nicht mehr so nah am Text, wie du dir das vielleicht vorstellst. Vielmehr sind sie Manager*innen, die sich vor allem um Projekte kümmern, koordinieren und angebotene Manuskripte sichten. Und selbst hier bleibt ihnen oft wenig Zeit – im Durchschnitt nur wenige Minuten pro Einsendung. 

Freie Lektor*innen dagegen arbeiten selbständig und suchen sich ihre Auftraggeber aus. Wir arbeiten vor allem als freie Dienstleister*innen mit den Verlagen und bearbeiten tatsächlich Texte. Außerdem betreuen wir die Texte von Unternehmen, Privatkunden und nicht zuletzt die Romane der Leute, die im Selfpublishing veröffentlichen. 

Freier Lektor ist kein klassischer Ausbildungsberuf

Der Beruf Lektor*in ist kein klassischer Ausbildungsberuf, auch wenn unseriöse Weiterbildungen das gern behaupten. Theoretisch kann sich jeder Mensch Lektor nennen, ohne eine fachliche Qualifikation nachweisen zu müssen. Das führt dazu, dass bei unseren Kund*innen schnell Unsicherheit herrscht, wer ein gutes Lektorat anbietet und bei wem die Qualität am Ende eher mangelhaft ausfällt.

Trotzdem gibt es einige Gemeinsamkeiten bei professionellen Lektor*innen: Die meisten haben einen akademischen Abschluss. Nicht immer ist es Germanistik – auch Wirtschaftswissenschaften, Kulturwissenschaften oder sogar Archäologie sind dabei. Diese Lektor*innen spezialisieren sich oft auf ihre wissenschaftlichen Fachbereiche und bieten ein sogenanntes Fachlektorat an.

Ein Gespür für gute und richtige Sprache ist sehr, sehr wichtig. Außerdem brauchen Lektor*innen ein umfassendes Allgemeinwissen, beherrschen Recherchetechniken und natürlich können sie alle gängigen Textverarbeitungsprogramme bedienen. Das alles klingt erstmal einfach, nicht wahr?

Gut Ding muss vorbereitet sein: Finanzamt, Verbände, Steuerangelegenheiten

Natürlich kommt zu dieser inhaltlichen Seite auch eine andere, für viele Menschen nicht so tolle: die steuerliche und versicherungsrechtliche. Aber keine Angst, so kompliziert ist es nicht.

Als freie*r Lektor*in gehörst du zu den sogenannten künstlerischen Berufen (zumindest, wenn du vor allem mit Verlagen und im SP arbeitest). Du bist damit von der Gewerbesteuer ausgenommen und kannst dich beim Finanzamt als Freiberufler*in anmelden und das entsprechende Formular ausfüllen. Eine genauere Information dazu findest du auf dieser Website. 

Achtung: Reine Korrektor*innen sind KEINE Freiberufler!

Außerdem kannst du unter Umständen Mitglied der Künstlersozialkasse werden und dich als Mitglied im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VfLL) aufnehmen lassen – in beiden Fällen musst du deine Tätigkeit allerdings nachweisen. Lass dich dazu beraten – Krankenkassen haben sehr oft ein Extra-Team für die Beratung zur Künstlersozialkasse. In jedem Fall musst du deiner Krankenkasse deine selbständige Tätigkeit melden. Anhand deiner geschätzten Einnahmen wird ein Beitrag berechnet. Auch, wenn dir das gerade zu Beginn alles sehr kompliziert vorkommen kann: Informiere dich, frage nach, wenn du etwas nicht verstehst.

Mit der Zuteilung einer Steuernummer durch das Finanzamt hast du die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Denk auch daran, dass du als Selbständige*r auch die Grundlagen der Rechungserstellung und Buchhaltung kennen solltest. Dir sagen Begriffe wie Vorsteuerabzug, EÜR oder Abschreibungen nichts? Dann wird es Zeit für einen Crashkurs.

Betriebswirtschaftliches Grundwissen kann dir sehr viel Zeit und Ärger ersparen. Eine erste Übersicht und Einführung findest du zum Beispiel in „Freiberufler für Dummies“ von Stefan Schwarz und Steffi Sammet.

An dieser Stelle möchte ich dir dringend empfehlen, einen Businessplan aufzustellen. Dieser ist die perfekte Denkübung: Er hilft dir dabei, dir einen genauen Plan davon zu machen, was du erreichen willst und wie viel Geld du dafür brauchst. Widme dem Finanzteil besonders viel Aufmerksamkeit und errechne dir realistische Stundenpreise, die deine Lebenshaltungskosten decken. Dumpingpreise sind ein No-Go und führen langfristig zu nichts.

Das erste Jahr als freie Lektorin – eine Achterbahnfahrt

Und dann geht es los. Was sich erstmal easy anhört, ist in Wirklichkeit eine Achterbahn der Gefühle. Imposter-Syndrom lässt grüßen! Kann ich das wirklich? Habe ich mir da nicht zu viel vorgenommen? Das sind Fragen, die dir schnell den Schlaf rauben können.

Diese Unsicherheit, ob sich die Selbständigkeit langfristig auszahlen wird, ist normal und jede*r von uns kennt sie. Meine Schwiegermutter – seit vielen Jahren erfolgreich selbständig – sagt immer: Wer nach fünf Jahren noch im Geschäft ist, schafft es. Und ich denke, sie hat recht. Die ersten Jahre sind die mühsamsten.

Damit du gut durch diese Zeit kommst, braucht es kontinuierliches Monitoring. Kommt dein Angebot bei deiner Zielgruppe an? Sind deine Anfragen das, was du dir wünschst? Und wie ist das Feedback zu deiner Arbeit? Aus all diesen Antworten wirst du dein Unternehmen langsam ausbauen und anpassen. Und auch an dir wirst du arbeiten.

Das Schöne dabei ist aber: Du hast es in der Hand und du entscheidest, wie du arbeiten möchtest.

Lernen, lernen, lernen – und Netzwerke bilden!

Eines haben wir Lektor*innen mit den Übersetzer*innen und auch mit Autor*innen gemeinsam: Wir alle könnten in Schwierigkeiten kommen, wenn jemand unsere Browserhistorie auswerten würde. Was habe ich schon für Dinge gegoogelt: Wie bekommt man ein Schiff ohne Wind und Ruder aus einem Hafen? Wie vergiftet man einen Menschen, ohne dass es nachweisbar ist? Ist Schierling wirklich das giftigste Kraut in Mitteleuropa?

Aber natürlich heißt Lernen auch, sich weiterzubilden. Ich belege jedes Jahr mindestens 2 fachrelevante Weiterbildungen, manchmal auch völlig fachfremde noch dazu. Und ich lese Magazine und Artikel zu meinen inhaltlichen Fachthemen erneuerbare Energien, Stromnetze, Botanik und Geschichte.

Eine erste Anlaufstelle für angehende Lektor*innen ist die Akademie der Deutschen Medien, die ein dreiteiliges Qualifizierungsprogramm anbietet. Hier lernst du die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Selbständigkeit: Akquise, Netzwerken, die Grundlagen des Handwerks. Und du lernst erste Kontakte kennen – andere Menschen, die wie du mit Texten arbeiten wollen. Nutze die Chance und vernetze dich für die Zukunft.

Netzwerken ist extrem wichtig, wenn du als freie*r Lektor*in langfristig erfolgreich sein möchtest. Denn viele Aufträge – gerade, wenn es eilt  – werden über Beziehungen vergeben. Empfehlungen sind überlebenswichtig. Deshalb solltest du schon früh anfangen, dich mit anderen Fachleuten auszutauschen. Auch soziale Netzwerke wie LinkedIn, Instagram oder Facebook sind dabei hilfreich. 

Du kannst dich gern mit mir bei LinkedIn vernetzen.

Viel mehr als nur Texte – Freiberuflichkeit hat viele Facetten

Lektorieren meint also viel mehr als nur das Lesen eines Textes. Lektorieren ist schwere Textarbeit. Ohne ständige Weiterbildung und den fachlichen Austausch mit Kolleg*innen geht es nicht. Deshalb bedeutet Lektorieren auch: eine ständige Auseinandersetzung mit der Entwicklung der deutschen Sprache. Jugendsprache? Solltest du kennen. Anglizismen, falsche Sprichwörter, neue Wortkreationen – all das sollte immer auf deinem Radar sein.

Dazu kommen noch die Tätigkeiten, die gar nicht mit der Arbeit am Text zu tun haben. Denn wir kümmern uns auch um steuerliche Angelegenheiten, setzen Marketingpläne um und erledigen alle Schritte vom ersten Angebot an potenzielle Kund*innen bis zur Abrechnung eines fertigen Auftrags. Diese Aufgaben solltest du nicht unterschätzen und bei deiner Zeitplanung immer berücksichtigen.

Gründen erfordert Mut

Wer sich selbständig macht, lebt plötzlich ganz anders als angestellte Personen. Hier gibt es niemanden, der dir Arbeitszeiten vorgibt oder dir jeden Monat ein festes Gehalt überweist. Gründen erfordert Mut, Ausdauer und ja, auch Disziplin. Und am wichtigsten ist gründliche Vorbereitung, bevor du diesen Schritt gehst. Ein Businessplan ist das Mindeste, selbst wenn du am Ende alles anders machst und das Teil in der Schublade verschwindet. 

Dafür bietet dir eine Tätigkeit als freie*r Lektor*in sehr viel. Du lernst eine Menge spannender Leute kennen, du bist mittendrin in Texten und neuen Büchern und du sammelst so viel Wissen über alles Mögliche, dass du jedes Quiz-Duell gewinnst. Und du kannst so arbeiten, wie du es willst.

Titelbild von Nothing Ahead von Pexels.