Kategorien
Menschen und Bücher

„The gun’s in my hand.“ – Daria Nina im Interview

Die Münchner Autorin Daria Nina ist inzwischen ein fester Bestandteil meines Arbeitsalltages. Zuerst auf Instagram gefolgt, irgendwann mal Memes geteilt und dann virtuelle Kaffeedates jeden Mittwoch und eine wachsende Zusammenarbeit – fast schon eine Love Story.

Aber natürlich kann Daria Nina viel, viel mehr. Die Autorin ist Multi-Unternehmerin, schreibt an mehreren Fronten gleichzeitig und traut sich einiges zu. Dabei spielt das klassische Print-Buch gar nicht die wichtigste Rolle. Stattdessen gibt es hier knifflige Mordfälle und das digitale Lesen der Zukunft. 

Seit wann arbeitest du als Autorin und wie bist du dazu gekommen?

Hauptberufliche Autorin bin ich seit etwa zwei Jahren. Aber Geschichten begleiten mich schon, seit ich sie das erste Mal als Kind vorgelesen bekam. Und Schreiben seitdem ich vier war. Da schrieb mein Opa auf Notizzettel, wo er einen Schatz für mich versteckt hatte. So wollte er die Begeisterung für das Lesen in mir wecken. Recht schnell war mir das nicht genug und ich schrieb Notizen für meinen Opa, wo ein Schatz auf ihn wartete. Es waren die ersten rudimentären Versuche mit Sprache auf Papier. Eine Welt voller Abenteuer. Seitdem ist Geschichtenerzählen etwas, bei dem ich immer wieder gelandet bin, was mich nie losgelassen hat. Der Weg zum Autorinnensein selbst war nicht zielgerichtet, mit Ausbildung. Es begann mit Leidenschaft und prätentiösen Gedichten im Teenageralter. Doch mir wurde klar, dass ohne Handwerk und Durchhaltevermögen nichts dabei rauskommen würde. Viele träumen davon zu schreiben. Ich konnte nicht anders und musste einen Weg finden, es zu tun. Und obwohl kein Muss für den Beruf, aber mein durchaus sehr chaotischer Lebenslauf bietet natürlich auch einen großen Erfahrungsschatz, aus dem ich schöpfen kann.

 

Haben deine Eltern sich diesen Beruf für dich vorgestellt oder musstest du dich eher behaupten?

Tatsächlich hatte ich keine großen Vorgaben, was ich werden soll oder kann. Ich musste mich hauptsächlich gegen meine eigenen Vorstellungen behaupten, ob meine Stimme zählt.

Angenommen, es erscheint eine wahrheitsgetreue Biografie deines Lebens, würdest du sie weiterempfehlen?

Ja. *lacht* Ich meine, es gibt natürlich langweilige Stellen, die jedoch vor Veröffentlichung spätestens an einer guten Lektorin wie dir, sagen wir mal, leser:innenfreundlich gekürzt würden. Aber es gäbe auch Kapitel wie: Punk’s Not Dead, Just Drunk, From Russia With Identity Crisis. Und als Zitat vornedran: „The gun’s in my hand.“ (Fight Club)

Das klingt nach einer wilden Geschichte. Hat deine russische Herkunft Einfluss auf deine Arbeit? Und schreibst du eigentlich auch auf Russisch?

Auf Russisch schreibe ich nicht, nein. Dafür kommen öfters Sachen auf Englisch heraus und ich muss sie erst wieder ins Deutsche übersetzen und es hört sich niemals so gut an, wie ich sie eigentlich im Kopf hatte. Aber klar hat meine russische Herkunft Einfluss auf meine Arbeit. Ich meine, alles, was ich erlebt habe, was mich geprägt hat, hat auch Einfluss auf meine Arbeit, ist Teil meiner Stimme. Inwiefern kann ich jedoch nicht sagen. Das müssen dann irgendwann Schüler:innen bei der Interpretationsanalyse herausfinden. *lacht*

Deine Krimidinner “Mord bei Tisch” verkaufen sich gut. Jetzt kommt mit den “Cold Case Detectives” ein neues Format. Statt angenommener Rollen wie beim Krimi Dinner gibt es hier eine Ermittlungsakte. Sprichst du damit andere Leute an als mit “Mord bei Tisch”?

Teilweise ja. Aber nicht unbedingt. Es gibt viele Spielgruppen, die Testspieler:innen für meine Spiele sind und sowohl Krimidinner und Krimiaktenspiele mögen. Und zusätzlich dazu auch ganz andere Arten von Spielen. „Cold Case Detectives“ spricht vielleicht aber eher auch Escape-Game-Freunde an, die nicht unbedingt ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellen wollen, wie es bei Krimidinnern der Fall ist. Zudem kann man das Spiel auch alleine oder zu zweit spielen, was bei Krimidinnern nicht funktioniert.

Cold Case Detectives: Tödlicher Sommer

Der erste Cold Case dreht sich um einen Toten im Freibad - das Ganze spielt in den 1990er-Jahren. Wie hast du dafür recherchiert?

Zum einen habe ich selbst in der Zeit gelebt. Ich kenne beispielsweise noch das Internet, als es frisch war und über die Telefonleitung lief. Und an das grauenvolle Geräusch des Modems, wenn man sich einwählte. Abgesehen vom eigenen Erfahrungswissen gibt es heutzutage, dank Internet, viele Möglichkeiten, Details und für alle möglichen Dinge Bildmaterial zu finden. Wobei es schwieriger wird, wenn man in der Zeit zurückgeht. Ich arbeite gerade an einem neuen Cold-Case-Spiel, das 1967 spielt. Und man vergisst leicht: In der heutigen Welt gibt es eine so unglaublich große Masse an Fotos und Videos von den kleinsten, unbedeutendsten Alltagsdingen. Damals gab es diese mediale Fülle einfach nicht. Aber ich liebe es, zu recherchieren, nicht nur im Internet, sondern auch in Büchern, Museen, in Gesprächen mit Menschen, um deren Erfahrungswissen anzuzapfen. Es ist also ein Flickenteppich, den ich mir da erarbeite.

Wir sehen manchmal auf Instagram auch deine sehr geordneten Pinnwände für deine Schreibprojekte. Das sieht dann gar nicht mehr nach Flickenteppich aus, sondern nach striktem Plan. Bist du also ein klassischer Plotter oder manchmal doch Pantster?

Ich plotte tatsächlich gerne bevor ich anfange zu schreiben. Je nachdem, was ich schreibe, mal mehr, mal weniger. Bei Krimidinnern ist es beispielsweise sehr strikt nach Runden aufgeteilt. Muss es auch sein, damit alles während des Spiels aufgeht. Ich muss ein sehr gutes Gefühl für die Figuren haben, damit ich die Konflikte und somit die Mordmotive sehen kann. Erst dann fange ich an zu schreiben. Bei einem Roman ist es eher eine lose Planung, eine Art Orientierung, da während des Schreibens noch so viel passiert und aufkommt, dass sich einiges auch ändern kann. Ich nutze dafür anfangs gerne den Story Circle, der aus acht Plot-Punkten besteht. Dabei arbeite ich nicht alle Punkte explizit aus. Da kann zum Beispiel bei Punkt 6 stehen: „Jemand stirbt.“ Das ist dann alles an Planung, was es dazu gibt. Wer genau stirbt, entscheide ich dann während des Schreibens nach Gefühl. Ich weiß dann schon unterbewusst, dass ich darauf hinarbeiten muss, weil ich den Kurs gesetzt habe. Wenn ich an einigen Stellen ein Bedürfnis nach mehr Plotten spüre, nutze ich eine eigene Mischung aus Story Grid und Save the Cat. Blind drauflos schreiben, ganz ohne Plan wie Stephen King es vorgibt zu tun – nur ganz romantisch dem Scheinwerferlicht folgend, finde ich eher hinderlich für meinen Schreibprozess. Außer bei Gedichten. Aber das ist auch etwas ganz anderes.

2021 ist auch das Jahr, in dem du als Autorin und Unternehmerin noch einen Schritt weitergehst. Mit Storyways bringst du jetzt auch noch eine App an den Start. Ist diese Form des Lesens die Zukunft?

Storyways bietet ein neues Leseformat: Unsere Leser*innen entscheiden innerhalb der Geschichten selbst, wie es mit der Handlung weitergeht. Die Geschichten sind also interaktiv. Im Grunde ist diese Form des Lesens nicht neu. „Choose your own adventure“-Bücher oder „Insel der 1000 Gefahren“ beispielsweise gibt es schon sehr lange. Dadurch wurde diese Art des Lesens jedoch eher als etwas für Kinder abgestempelt. In Computerspielen wird auch schon länger in branching narratives erzählt, was alle Altersklassen anspricht. Storyways ist also eine Verbindung aus Büchern und Video Games, ein Gamification des Lesens, wenn man es so nennen möchte. Netflix experimentiert auch mit interaktiven Filmen und sieht es als mögliche Zukunft des Erzählens. Durch die Verfügbarkeit der App auf mobilen Geräten können wir außerdem neue Leser*innen-kreise ansprechen als mit traditionellen Printprodukten. Wir sind derzeit auch immer auf der Suche nach neuen Autor:innen, die sich in dieser Art des Erzählens ausprobieren wollen. Dazu bieten wir natürlich umfassenden Support beim Schreiben und übernehmen alle wichtigen Schritte bis zur Veröffentlichung.

Was schreibst du lieber? Klassisches Buchformat oder interaktive Geschichten für die App?

Gute Frage. Jede Erzählform und jedes Erzählmedium bietet ganz eigene Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen. Es kommt auf die Geschichte an. Und wie ich diese erzählen möchte. Derzeit denke ich beispielsweise viel über Drehbuch nach. Ganz was anderes.

Du warst ja auch eine Weile beim Film unterwegs…

Oh ja! Das waren ein paar lustige und spannende Jahre. An einem Tag arbeitest du nachts auf dem Friedhof, am nächsten Tag in einer riesigen Villa mit Seeblick, am nächsten im Flughafen hinter dem Security-Bereich. Auch wenn ich nicht zurück möchte, aber hin und wieder fehlt mir das Set-Leben. Natürlich definitiv nicht in Momenten wie diesen, wenn es draußen kalt, nass und grau ist. Da ist das Autorinnenleben schon um einiges komfortabler. Aber ich würde gerne für Film und Streaming schreiben. Ich liebe es, mit Erzählformen und Geschichten zu experimentieren.

Für welches Problem wärst du die perfekte Lösung?

Die schwierigste Frage aus diesem Set an Fragen. Wenn jemand lachen möchte, bin ich am Start. Ich finde meistens irgendwie einen Weg zum Lachen, auch wenn es mit Tränen in den Augen ist. Das sind auch meine liebsten Enden in Geschichten. Nicht unbedingt Happy Endings, aber am Schluss gibt es zumindest ein Potenzial, dass es besser werden kann. 

Dieses Interview hat euch gefallen? Dann meldet euch gern zu meinem Newsletter an und lest alle Interviews vor allen anderen.