Dieser Artikel erschien erstmal im Dezember 2022 im Sonderheft von DIE MARK BRANDENBURG „Hexen in Brandenburg“ in Kooperation mit Kathrin Schwarz (Historikerin).
Heilige und Hexen – was zunächst nach einem Paar voller Gegensätzlichkeit klingt, ist in Wahrheit eng miteinander verwoben. Die Äbtissinnen und Mystikerinnen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit unterscheiden sich wenig von den „weisen Frauen“, den Heilkundigen unter der einfachen Bevölkerung. Während die Mystikerinnen der Kirche mit „Wundern“ und Klostermedizin eine Art weiße Magie im Namen Gottes ausüben, unterstellt man den „weisen Frauen“ schwarze Magie und den Bund mit dem Teufel. Wie nah sich Hexe und Heilige sind, zeigt sich besonders deutlich in einem Lebensbereich: der Versorgung von Kranken und Schwangeren.
Viele Klöster unterhielten Spitäler zur Versorgung der Kranken und Armen. Klostermedizin bezeichnet die Heilkunde der Mönche und Nonnen vom 6. bis etwa 13. Jahrhundert. Hinter den Klostermauern wurde das Wissen über Heilpflanzen und die Vier-Säfte-Lehre nach Hippokrates und Galenos weitergegeben. In den Gärten, angelegt nach dem St. Galler Klosterplan, wuchsen ausgesuchte Heilpflanzen. Heidnische Zaubersprüche wurden zunehmend von christlichen Segen und Gebeten abgelöst. Die Äbtissin und Mystikerin Hildegard von Bingen gilt als eine der bekanntesten Mystikerinnen und brachte Wissen aus beiden Traditionen – Klostermedizin und Volksmedizin – etwa in ihrem Buch Physica zusammen. Auch das Konzept der „Grünkraft“ (lat. viriditas), also der Kraft, die allem Lebendigen zugrunde liegt, geht auf Hildegard zurück. Hildegards Werke verbreiteten sich schnell. Man kann davon ausgehen, dass auch die Zisterzienserinnen im Kloster Zehdenick über ein beachtliches medizinisches Wissen verfügt haben dürften.
Der Legende nach war das Kloster an dieser Stelle im Jahr 1249 nach einem “Wunder” gegründet worden: Die Besitzerin einer Bierschänke soll eine geweihte Hostie unter einem Bierfass im Keller vergraben haben, um das Bier frisch zu halten. Doch sie bekam ein so schlechtes Gewissen, dass sie den Vorfall beichtete. Als die Hostie wieder ausgegraben wurde, soll Blut ausgetreten sein und die Erde rot gefärbt haben. Das Blutwunder sprach sich herum und der Ort wurde zu einer Pilgerstätte. Die Markgrafen Johannes und Otto von Brandenburg und ihre Schwester Mechtild, Herzogin von Braunschweig, stifteten daraufhin das Kloster. Bis 1541 lebten hier Nonnen, die sich auch um die Kranken im Einzugsbereich des Klosters kümmerten.
Der Klostermedizin gegenüber stand die sogenannte Volksmedizin. Besonders auf dem Land, wo anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht verfügbar waren, übernahmen „weise Frauen“ die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Seit jeher lag die Verantwortung für die Gesundheit der Familie bei den Frauen. Vom 13. bis weit ins 16. Jahrhundert waren Frauen aus den oberen Gesellschaftsschichten sogar Mitglieder der Zünfte der Schnitt- und Wundärzte oder Bader. Ihre Expertise war hoch anerkannt und geschätzt. Sie hatten umfangreiches Wissen über die Verwendung von Kräutern, bereiteten Tinkturen, Salben und Umschläge und halfen Frauen durch die gefährlichsten Phasen ihres Lebens: Schwangerschaft und Geburt. Nicht selten kamen dabei auch vorchristliche Schutzzauber und Gesten zum Einsatz – ein Äquivalent zu den Segen und Kreuzzeichen der christlichen Kirche. Selbst Angehörige der Kirchen suchten regelmäßig bei diesen “PraktikerInnen” Rat, wenn das Gebet nicht half.
Das Wissen um die Wirkung von Kräutern und ihre Zubereitung und Anwendung wurde über Jahrhunderte mündlich weitergetragen. Viele der Pflanzen tragen auch heute noch sprechende Namen, z. B. Augentrost, auch bekannt als Wegleuchte, Zahnwehkraut, Lichtkraut und Augendank. Angeblich konnte das Kraut das Sehvermögen wiederherstellen, Entzündungen heilen und bei Kindern Spätfolgen verhindern, wenn man es ihnen bei einer Masernerkrankung auf die Augen legte. Anderen Pflanzen dagegen wurden magische Eigenschaften zugesprochen. Wermutkraut wurde angeblich für den Pakt mit dem Teufel genutzt, Greiskraut wachse dort, wo eine Hexe uriniert habe, und weiße Blüten brachten seit jeher Unglück. Die Mitglieder aus der Familie der Brassicaceae dagegen waren sicher, denn ihre Blüten bilden ein Kreuz – das Zeichen der Kirche.
Mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg eröffneten sich ab 1495 neue Möglichkeiten. Statt mühsam von Hand abgeschrieben zu werden, konnten Manuskripte nun einfach mit Lettern gesetzt und viel schneller gedruckt und verbreitet werden. Jetzt wurde Wissen vermehrt aus dem Lateinischen übersetzt, es erscheinen Traktate, (medizinische) Rezeptsammlung und Lehrbücher. So halfen Werke wie das Frauenbüchlein (1495) oder das Hebammenlehrbuch Der schwangeren Frauen und Hebammen Rosengarten (1513) dabei, Wissen zu bewahren und weiterzugeben, auch wenn Bücher nach wie vor rare Schätze waren, deren Inhalte durch Vorlesen weitergegeben wurde.
Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts setzte ein Wandel ein. Religiöse Vertreter sahen den Sieg des Christentums über den Teufel gefährdet und interpretierten die Segnungen und Heilkünste der “Praktikerinnen” und Hebammen in einem neuen Licht. In einer Zeit, die generell von großer Unsicherheit geprägt war, gerieten die „weisen Frauen“ zunehmend in Verruf. Ein Blick in die Akten der deutschen Hexenprozesse zeigt, dass viele der verurteilten Frauen und Männer einfache Naturheilkundige waren. Vor allem analphabetische Landfrauen waren überdurchschnittlich oft Opfer von Verfolgung und Folter. Wie kurz der Weg auf den Scheiterhaufen war, zeigt das Schicksal der Semliner Bäuerin Anna Rahns im Jahr 1672. Sie wurde angeklagt, drei Wochen vor Ostern sogenannte „Hexenbutter“ hergestellt zu haben. Beschwert hatten sich die Käufer Andreas Dielaß und Hans Schönemann aus dem benachbarten Ferchesar. Die gekaufte Butter sei voller Haare, Wolle und Dreck gewesen, gaben sie an. Am 4. Juni 1672 wurde sie an den Brandenburger Schöppenstuhl überstellt. Ihr Schicksal war damit besiegelt – sie würde die letzte Person sein, die man in Rathenow als Hexe verbrannte. Heute erinnert auf dem Semliner Dorfplatz ein Denkmal des Künstlers Volker Roth an sie.
Lesetipps
Anderson, Bonny/Zinsser, Judith (1995): Eine eigene Geschichte. Die Geschichte der Frauen in Europa. Frühgeschichte bis 18. Jahrhundert. Frankfurt a. Main: Fischer.
Dinzelbacher, Peter (2001): Hexen oder Heilige? Schicksale auffälliger Frauen. Düsseldorf: Patmos.
Kruse, Britta-Juliane (1999): “Die Arznei ist des Goldes wert”. Berlin: De Gruyter.